Sophia Pietryga
Gerade in aktuellen Debatten wird immer wieder deutlich, und auch gefordert, wie wichtig der (natur-)wissenschaftliche und soziologische Blick und die Kommunikation dessen ist. Ein künstlerischer Blick wird selten verlangt, doch ist es gerade diese Perspektive, die einen vielleicht menschlicheren, emotionaleren Zugang zu komplexen gesellschaftlichen Debatten liefert. Im Zuge des Wissenschaftsjahres untersucht Sebastian Jung das Thema Bioökonomie mit seinem Kunstprojekt Bio Bio SUV. In zwei Ausstellungsinterventionen und einem Thinktank werden aus künstlerischer und wissenschaftlicher Perspektive Fragen zu Bioökonomie und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Mentalitäten diskutiert.
Die künstlerischen Interventionen finden im Botanischen Garten der Universität Jena und im heimatkundlichen Bereich des Museums Starnberger See statt, also an zwei historischen Orten: Mit seiner Gründung 1586 ist der Botanische Garten in Jena der zweitälteste seiner Art in Deutschland, das Museum Starnberger See, 1914 gegründet, ist Vorreiter heimatkundlicher Museen. Beide Orte haben einen Bildungsanspruch, wollen etwas erzählen über tropische und medizinische Pflanzen oder das Leben unserer Vorfahr:innen und sagen zugleich viel über ihre eigene künstliche Entstehung und Gestaltung aus. Wir sehen beim Besuch eine menschengemachte Befragung von Natur und Heimat, spiegeln als Besucher:innen aber auch unseren eigenen Blick auf diese.
Sebastian Jung nimmt sich dieses Blickes an und lenkt ihn mit künstlerischen Mitteln. Er nutzt das Mittel der Intervention, um Fragen in die ansonsten homogene Umgebung zu werfen: Was machen Pinguine und Paradiesvögel im Tropen- oder Kakteenhaus? – Beziehungsweise noch einen Schritt zurücktretend: Warum hängen in einem Botanischen Garten, also einem vordergründig natürlichen Ort, bunte Lkw-Planen? Die Arbeiten Sebastian Jungs greifen in Orte ein, die – besonders im Fall des Botanischen Gartens – künstlich, aber nicht dezidiert künstlerisch sind. Wie schon in vorherigen Projekten bringt Jung einen neuen Blick, einen Irritationsmoment an Orte, wo sich das gesellschaftliche Leben abspielt. Für Bananen für Wuppertal benutzte er beispielsweise schon einmal das Medium der PVC-Plane, um Elefanten in ein Wuppertaler Einkaufszentrum zu bringen. Das Mittel der Intervention wird bewusst eingesetzt, sodass die künstlerische Arbeit Jungs nicht nur für sich steht, sondern ebenso bewusst an ihre Umgebung angepasst mit ihr in Austausch tritt.
Die Kunst kommt also zum Menschen. Durch die Unterstützung zehn wissenschaftlicher Positionen eines Thinktanks, der wie die Zeichnungen oder Skulpturen eine künstlerische Geste Jungs ist, wird der soziologische Blick des Künstlers deutlich: Er geht in allen Arbeiten von seinen Zeichnungen aus – schnelle, pointierte Beobachtungen alltäglicher oder skurriler Szenerien, die sich in Zoos, Einkaufszentren, auf Demonstrationen oder Autoshows abspielen. Die dort dargestellten Menschen werden dabei nie vorgeführt, dienen eher als Prototypen gesamtgesellschaftlicher Zusammenhänge. Und auch wenn Jung Pinguine oder Paradiesvögel in ostdeutschen Zoos zeichnet, wird immer der Mensch als Ausgangspunkt mitgedacht – ohne ihn gäbe es schließlich keine tropischen oder arktischen Vögel in unseren Breitengraden. Indem die Zeichnungen weiterentwickelt und auf Trägermedien wie OSB-Platten oder PVC-Planen übertragen werden, entwickeln sich diese ebenfalls weiter. Das Material ist nicht mehr nur Trägermedium, sondern gehört zur künstlerischen Aussage selbst. Der subjektive Blick des Künstlers auf die Gesellschaft wird zu einer Analyse, zu der sich die Betrachter:innen seiner Kunst verhalten müssen. Die emotionale Haltung wird mit einem wissenschaftlichen Blick zusammengeführt, die das Sezieren komplexer Themen gesellschaftlicher Verhältnisse überhaupt erst ermöglicht.