Der Fluss der Freude am Leben

Christiane Grefe

Die meisten Protagonist*innen der heutigen Bioökonomie haben deren größten Vordenker nie gelesen: den Wirtschaftswissenschaftler Nicholas Georgescu-Roegen. Schon in den 1970er-Jahren betonte der Mitbegründer der ökologischen Ökonomie, dass jede Form des Wirtschaftens die Naturgesetze mitdenken müsse und aufmerksam sein müsse für biologische und physikalische Grenzen. Auch forderte er, von fossilen Ressourcen auf solare und bio(techno)logische Quellen umzusteigen. Dabei dachte er weit über eine Substitutionsstrategie oder vordergründige Effizienzgewinne hinaus. »Der wahre ›output‹ des ökonomischen Prozesses«, schrieb der rumänische Wissenschaftler, sei »nicht eine ständige materielle Produktion von Abfall, sondern ein beispielloses beständiges Fließen, der Fluss der Freude am Leben. Wenn wir diese Bewegung wie auch viele andere spezifisch menschliche Neigungen nicht in unser analytisches Instrumentarium einbeziehen, so bewegen wir uns nicht in der ökonomischen Wirklichkeit.«

Doch vom »Fluss der Freude am Leben« als Output ist die aktuelle Bioökonomie meist weit entfernt. Bei aller Beteuerung, dem Klima- und Artenschutz zu dienen, bleibt sie letztlich auf neue Produkte und Wachstum ausgerichtet. Es droht eine weitere Kommerzialisierung des Wassers, der Böden, der Wälder, der Arten. Stattdessen ginge es doch aber darum, mit der Vielfalt und Lebendigkeit der Natur zu wirtschaften und nur so viel zu verbrauchen, dass auch künftige Generationen wieder genauso viel zur Verfügung haben. Bei aller Faszination für technologische Fortschritte gilt es, eine neue Kultur der Bescheidenheit zu erfinden – in den Chefetagen wie an der Ladentheke. Dafür gibt es ebenso wenig wie für landwirtschaftliche Anbauweisen globale Rezepte. Diese Kultur entsteht nur mithilfe lokaler sozialer Organisation. Auf den politischen Rahmen dafür müssen Bürger*innen drängen: nicht zuletzt, indem sie vielfältige Modelle des Miteinanders vorleben.

Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy hat die Herausforderung in ihrem Essay Rumpelstilzchens Reinkarnation so ausgedrückt: »Wenn all die Flüsse und Täler und Wälder und Hügel der Welt erst verpackt, mit Preis und Kassencode versehen und im Supermarkt gestapelt sind; wenn alles Stroh, alle Kohle und Erde und alles Holz und Wasser zu Gold gemacht wurden – was sollen wir dann machen mit all dem Gold?«


Christiane Grefe, geboren 1957, studierte Politikwissenschaften in München und besuchte dort die Deutsche Journalistenschule. Seit 1999 arbeitet sie als Redakteurin und Reporterin im Berliner Büro der Wochenzeitung DIE ZEIT zu Ökologie-, Umwelt- und Entwicklungsthemen. Grefe schrieb zahlreiche Sachbücher,  u.a. „Global Gardening. Bioökonomie  –  neuer Raubbau oder Wirtschaftsform der Zukunft?“ (Antje Kunstmann Verlag, München)